Kategorie: Virtuelle Sonderausstellung

Mein liebes Tagebuch...

„Ich reise niemals ohne mein Tagebuch. Man sollte immer etwas Aufregendes zu lesen bei sich haben.“ Oscar Wilde
historische Darstellung Humboldts im Dschungel
Seine Tagebücher wurden sogar berühmt. Alexander von Humboldt und Aimé Bonpland im Urwaldlaboratorium. Holzstich von Otto Roth, 1870. © Copyright bpk – Bildagentur für Kunst, Kultur und Geschichte]

Lebenspuren auf Papier

Unzählige Zeugnisse von Menschenleben liegen, gerade erst zugeklappt, in Schubladen, oder im Nachlass der Vorfahren auf Dachböden. Berühmte Persönlichkeiten führen genauso wie die unbekannte Frau von nebenan das besondere Selbstgespräch. Im Tagebuch hält der Schreibende bewusst die Zeit fest, um ihr irgendwann lesend wieder zu begegnen – datierte Lebensspuren auf Papier.

Bereits seit der Antike fixieren Menschen das eigene Leben für die Nachwelt und geben ihre subjektiven Gedanken wieder. Mit dem Humanismus ab etwa 1500 gewährt das wachsende Ich-Bewusstsein dem Menschen mehr Spielraum für die Auseinandersetzung mit sich selbst und seiner Zeit, seiner Umwelt. Hier lässt das Tagebuch immer auch Intimität und Freiheit zu. Manchmal wirkt es als Blitzableiter und kanalisiert Emotionen, die sonst explodieren. Von „Notwehr“ spricht der Schriftsteller Max Frisch (geb. 1911), von „Versuchen, mit dem Leben fertig zu werden“.

Vom Unterwegssein

Ein Klassiker der Gattung ist das Reisejournal. Es gehört zu den wichtigsten wissenschaftlichen und persönlichen Dokumenten des 19. Jahrhunderts. Ein bekanntes Beispiel, wie aus dieser Vorlage ein literarisches Werk wird, ist Goethes  „Italienische Reise“. Sie basiert auf seinen Reisetagebüchern aus den Jahren 1786 bis 1788. Oder sie werden bereits in dem Bewusstsein verfasst, der Wissenschaft wichtige Erkenntnisse zu überliefern. Berühmt sind Alexander von Humboldts Amerikanischen Reisetagebücher, in fünf Jahren zwischen 1799 und 1804 notiert.

Im weltweiten Netz

Am 13. November 1990 geht die Webseite von Tim Berners-Lee online, die als erster Blog gilt. Damit verlässt das Tagebuch das stille Kämmerlein und lädt als Lyrik-, Reise- oder auch Mode-Blog zum digitalen Austausch ein. „Blog“ steht übrigens für „Web-Logbuch“.

Tagebuch oder Planer?

Eine aktuelle Adaption des Tagebuches ist das Bullet Journal. Hier wird vom Wochenplan bis zur individuellen Reflexionsübung alles selbst gestaltet und gegliedert: mal Auflistungen von Zielen und Aufgaben, mal Ideensammlungen und täglich die Erfassung von Stimmung und Befindlichkeit. Der Alltag wird strukturiert und reflektiert, die einstigen Einträge im Tagebuch reduziert auf kurze Schlaglichter.

 

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