Samstag, 01. Mai 2021

Schulschließung wegen Scharlach

Wir haben uns fast an Schul- und Kindergartenschließungen wegen der Coronapandemie gewöhnt. Das Phänomen ist aber nicht neu, denn bereits in früheren Zeiten werden aufgrund von Krankheiten und Epidemien Schulen geschlossen. Das Objekt des Monats Mai ist ein Dokument der Schulverwaltung von 1919, in dem eine Schulschließung und –wiedereröffnung aufgrund von Scharlach verfügt wird. Es zeigt, dass schon die Erkrankung eines einzelnen Kindes damals die Schließung einer ganzen Schule bedeuten kann.
Rückseite Aushang Schulschließung  wegen Scharlach im November 1919.
Die Rückseite der amtlichen Verfügung zur Schließung der Tettnanger Grundschule wegen eines Scharlach-Falles Abb.: Schulmuseum Friedrichshafen

Im November 1919 erkrankt ein Kind des Schuldieners an der Katholischen Volksschule Tettnang an Scharlach. Da der Schuldiener und seine Familie vermutlich in der Schule wohnen, wird zwischen dem 28. November und dem 2. Dezember die gesamte Schule geschlossen. Sie öffnet erst wieder, nachdem das Kind ins Krankenhaus gebracht und die gesamte Wohnung desinfiziert worden ist.

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts ist Scharlach eine stark verbreitete Kinderkrankheit und eine häufige Todesursache bei Kindern. Eine wirkungsvolle Behandlung der Krankheit gibt es noch nicht.

Scharlach wird von Streptokokken ausgelöst, Bakterien, die über Tröpfchen- und Schmierinfektionen übertragen werden. Die Bakterien verursachen meistens einen Hautausschlag mit hellroten Flecken, Fieber und Halsentzündung. Typisch für Scharlach ist außerdem eine leuchtend rote Zunge, oft als „Himbeerzunge“ bezeichnet. Besonders betroffen sind Kinder zwischen sechs und zwölf Jahren. Die infizierte Person ist damals mindestens drei Wochen lang stark ansteckend. Scharlach tritt meist an Orten auf, an denen sich viele Kinder auf engem Raum aufhalten wie eben in Schulen.

Medizinische Ratgeber und Lexika von Beginn des 20. Jahrhunderts lassen erahnen, welche Gefahr Scharlach damals bedeutete. So wird in „Meyers Konversationslexikon“ von 1907 empfohlen, das erkrankte Kind sofort von seiner Familie zu trennen und bis zu vier Wochen im Bett zu lassen. Bei ungünstigem Verlauf der Krankheit könne das Kind zu jedem Zeitpunkt sterben, denn die Sterblichkeitsrate, so liest man, könne bei einigen Scharlachausbrüchen bis zu 40 Prozent betragen.

Das Thema Scharlach wird auch in der damaligen Literatur aufgegriffen und verarbeitet. So schreibt Stefan Zweig 1908 eine Erzählung mit dem Titel „Scharlach“ und der Dichter Friedrich Rückert verfasst um 1830, nachdem zwei seiner Kinder an Scharlach gestorben sind, die Gedichte „Kindertotenlieder“.

1938 wird die Wirkung des Antibiotikums Penicillin für die Behandlung von Infektionskrankheiten wie Scharlach entdeckt. Penicillin wird erstmals während des Zweiten Weltkrieges (1939 bis 1945) in den USA hergestellt. Nach Deutschland gelangt es nach Ende des Krieges.

Scharlach wird bis heute mit Penicillin behandelt. Unter der Behandlung verbessern sich die Symptome meistens sehr schnell, und die infizierten Personen sind schon nach 24 Stunden nicht mehr ansteckend. Nach Abschluss der Behandlung mit Antibiotika sind die erkrankten Personen meistens vollständig gesund. Schwere Krankheitsverläufe oder Todesfälle sind heute, auch ohne bestehende Impfung, sehr selten.  

Karin Oelfke, wissenschaftliche Volontärin

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