Samstag, 01. Oktober 2022

Schulfunkgerät aus den 1950er Jahren

Der Schulfunk bringt besonders in der Nachkriegszeit über stabile große Radiogeräte Hörspiele, Lesungen und Reportagen in die Klassenzimmer.
Altes Radio

Das Schulfunkgerät 6 S Ela. 5610 der Firma Siemens wird 1954 hergestellt. Das Gerät ist mit seiner verschließbaren Holzklappe, den Tragegriffen und dem Gehäuse aus Holz besonders robust und auf die Nutzung in der Schule ausgelegt. Der Lautsprecher befindet sich auf der Rückseite des Geräts und wird zur Klasse hin aufgestellt. Anders als spätere Schulfunkgeräte verfügt dieses noch nicht über ein Tonbandgerät, mit dem man die Sendungen aufnehmen kann. Die Sendungen können also nur zu den Sendezeiten, die nicht immer mit den Unterrichtszeiten übereinstimmen, angehört werden. Auch pausieren und wiederholen ist nicht möglich. Die Schulfunkgeräte werden entweder von den Schulen selbst gekauft oder von den Rundfunkanstalten gestiftet.

Der Schulfunk hat in Deutschland seinen Ursprung in der Weimarer Republik (1918 bis 1933). Bereits seit 1924 werden Lesungen, Hörspiele und Vorträge für die Verwendung in den Klassenzimmern gesendet. Die NSDAP nutzt das Radio und den Schulfunk nach 1933 besonders, um ihre Ideologie zu verbreiten.

Nach dem Zweiten Weltkrieg (1933 bis 1945) bauen die Alliierten in Westdeutschland die Radio- und Medienlandschaft neu auf. Das Radio ist damals das zentrale Bildungs-, Informations- und Unterhaltungsmedium. Um eine Machtkonzentration und eine staatliche propagandistische Nutzung zu verhindern, entstehen mehrere Rundfunkanstalten. Der Rundfunk soll die Bevölkerung unterhalten, informieren, bilden und vor allem demokratische Werte vermitteln. Nebenbei wird das Radio auch genutzt, um die Bevölkerung gegen den Kommunismus und die Sowjetunion einzuschwören.

Die westlichen Alliierten legen besonderen Wert auf die Bildung der Kinder und Jugendlichen. Sie sollen zu demokratischen Bürgerinnen und Bürgern erzogen werden. Nach dem Krieg sind allerdings viele Schulen zerstört, es mangelt an Schulbüchern und auch den Lehrkräften wird nicht zugetraut, Demokratiebildung zu betreiben. Alle westdeutschen Rundfunkanstalten bauen deshalb bald eigene Schulfunkabteilungen auf. Außer an Sonn- und Feiertagen läuft täglich morgens eine Bildungssendung und wird am Nachmittag wiederholt.  Die Sendungen beinhalten Reportagen, Hörspiele, Lesungen oder Hörstücke zu vielen Fächern und Themen wie Deutsch, Geschichte, Mathematik und Verkehrserziehung. Einen hohen Stellenwert nehmen Reportagen aus verschiedenen europäischen Ländern ein, die das Zusammengehörigkeitsgefühl innerhalb des vereinten Europas fördern sollen. Als Gegensatz werden auch osteuropäische Länder dargestellt und Kritik an der dortigen Planwirtschaft und dem kommunistischen System geübt. Zu den einzelnen Sendereihen erscheinen Informationsbroschüren mit Texten und Programmübersichten, die den Lehrkräften kostenlos zugeschickt werden und die Integration des Schulfunks in den Unterricht erleichtern sollen.

Von Beginn an hören nicht nur Schülerinnen und Schüler den Schulfunk, sondern auch viele Hausfrauen, Senioren und Arbeitslose. Sie nutzen ihn als kostenloses Bildungsprogramm. In der Bevölkerung und auch in den Sendeanstalten wird der Schulfunk deshalb belächelt und als „Hausfrauenprogramm“ bezeichnet. Immer wieder gibt es Debatten um die Relevanz des Schulfunks. Sie münden schließlich darin, dass die Schulfunkabteilungen in den 1990er Jahren aufgelöst und in die allgemeinen Bildungsabteilungen der Rundfunkanstalten aufgehen. Der Schulfunk des SWR wird beispielsweise in die Abteilung SWR2 Wissen integriert. Einige Rundfunkanstalten produzieren neben den allgemeinen Bildungsformaten auch heute noch Sendungen speziell für Schulen, beispielsweise der Bayrische Rundfunk mit seinem Podcast radiowissen.

Karin Oelfke (wissenschaftliche Volontärin)

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