Sonntag, 01. Dezember 2024

Wir spielen Fortschritt! Dampfmaschine aus 1930

Passend zum Dezember ist das Objekt des Monats ein Spielzeug, das über viele Jahre Kinderaugen unter dem Weihnachtsbaum hat leuchten lassen: Das Dampfmaschinenmodell wurde vermutlich in den 1930er Jahren von der Firma Doll & Co. hergestellt ...
Foto des Dampfmaschinenen-Modells

Passend zum Dezember ist dieses Objekt ein Spielzeug, das über viele Jahre Kinderaugen unter dem Weihnachtsbaum hat leuchten lassen. Das Dampfmaschinenmodell wurde vermutlich in den 1930er Jahren von der Firma Doll & Co. hergestellt. Da unter anderem das Firmenlogo fehlt, ist es schwierig, das genaue Modell zu bestimmen, aber die Ähnlichkeit zu anderen Typen der gleichen Marke gibt uns einen Anhaltspunkt. Technisches Spielzeug dieser Art erfreute sich im 19. Jahrhundert sehr großer Beliebtheit, so schreibt die Zeitung Vorwärts in einem Bericht zum Weihnachtsgeschäft von 1924: „Der Andrang in diesen […] Geschäften war teilweise lebensgefährlich. […] Festzustellen ist erfreulicherweise, dass Spielwaren, die gleichzeitig einem pädagogischen Zweck haben, technische Baukästen, Eisenbahnen usw., sehr stark gekauft werden.“ Diese Beliebtheit ist kein Zufall. Kaum etwas steht so sehr für die fortschreitende Industrialisierung wie die Dampfmaschinen, die unabhängig von Ort und Jahreszeit Energie liefern konnte. 

Ein weiterer Faktor, der die Popularität dieser Modelle begünstigte, war das Verständnis von Kindheit seit dem 19. Jahrhundert.  Es herrschte die Vorstellung, dass Kinder nur dann zu guten Erwachsenen heranwachsen können, wenn sie von allen negativen Einflüssen ferngehalten werden. Mit zunehmender Urbanisierung und Industrialisierung verlagerte sich dieser Schutzraum immer mehr in das eigene Haus oder die eigene Wohnung. Man glaubte, Kinder seien von Natur aus gut und würden erst durch die Gesellschaft oder falsche Erziehung „schlecht“. Diese Vorstellung setzte sich unter anderem mit Jean Jacques Rousseaus ( 1712-1778) Erziehungsroman Emile oder Über die Erziehung (1762) durch. Solches Denken brachte eine neue Reihe von Konsumgütern hervor, die den besorgten Eltern die Erziehung zu einem intelligenten und wissbegierigen Kind erleichtern sollten. Anstatt das Kind die Außenwelt ungeschützt und ungefiltert wahrnehmen zu lassen, wird die Welt in verkleinerter Form als Miniatur ins Kinderzimmer geholt. Dieses Lernen und Heranführen an die Technik richtete sich vor allem an Jungen aus bürgerlichen oder adeligen Häusern. Da für Mädchen die Rolle der Mutter und Hausfrau vorgesehen war, hielt man es nicht für notwendig, sie zu einem technischen Verständnis zu erziehen. Ihnen waren vor allem Puppen oder Haushaltsgegenstände im kleinen Spielformat vorbehalten. 

Das technische Modell soll sowohl die kindliche Experimentierneugier befriedigen als auch das Gewissen der Eltern beruhigen: Die Modelldampfmaschine ist kein sinnloses Spiel, sondern dient der geistigen Entwicklung ihres Kindes. So bezeichnet die Firma Märklin ihre Modelldampfmaschine in der Bedienungsanleitung sogar als „Lehrmittel“, das man „studieren kann“.  Dieser Grundgedanke wurde mit Chemiekästen, technischen Baukästen zum Bau von Radios, Spieltelefonen usw. weiterentwickelt und spielt auch heute noch eine große Rolle. Wenn das Kind mit Spielzeug umgeben ist, das seine Intelligenz und Kreativität fördern soll, besteht die Hoffnung, dass es zu einem Erwachsenen heranwächst, der den Aufgaben unserer modernen Welt gewachsen ist.

Chiara Rees

(wissenschaftliche Volontärin)

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