Schülerzeitungsartikel "Demokratie in der Schule?"

Die Schülermitverwaltung (SMV) ist dabei ein wichtiger Baustein, denn sie bietet den Schülerinnen und Schülern die Möglichkeit, ihre Schule demokratisch mitzugestalten. Sie ist das zentrale Sprachrohr der Schülerschaft sowohl auf Klassen- als auch auf Landessebene. Die Wahl der Klassensprecherin oder des Klassensprechers ist in der Regel die erste demokratische Wahl, bei der die Kinder ein aktives Stimmrecht haben. Hauptaufgabe der SMV ist es, die Interessen der Schülerinnen und Schüler zu vertreten. Sie kann zum Beispiel mit der Schulleitung über ein besseres Mensaangebot verhandeln oder bei der Gründung neuer AGs helfen. Sie ist also durchaus in der Lage, in das aktive Schulleben einzugreifen und den Unterricht mitzugestalten. Das war nicht immer so. Gerade in den späten 1960er Jahren, als in der sogenannten 68er-Bewegung die alten Autoritäten in Frage gestellt wurden, gab es viel Kritik an der vorherigen Machtlosigkeit des SMV. Ein Beispiel dafür ist der Artikel "Demokratie in der Schule?" aus der Schülerzeitung Tintenfisch des Graf-Zeppelin-Gymnasiums in Friedrichshafen aus dem Jahr 1968. So klagt er an „Die Emanzipation des Schülers ist überreif!“
Die Schülermitverwaltung wurde 1945 von den westlichen Alliierten als Mittel der Entnazifizierung und Demokratisierung an den deutschen Schulen eingeführt. Damals beschränkten sich die Aufgaben der SMV im Wesentlichen auf die Organisation von Sport- und Musikfesten oder die Hilfe für jüngere Mitschülerinnen und Mitschüler. Dies führte vor allem Ende der 1960er Jahre zu wachsender Unzufriedenheit unter den Schülerinnen und Schülern, die mehr Mitbestimmung forderten. Schülerzeitungen wurden zu einem beliebten Mittel, diese Unzufriedenheit mit den Strukturen der SMV öffentlich zu machen. So spiegelt diese Ausgabe des Tintenfischs aus dem Jahr 1968 den Zeitgeist wider. Neben schulinternen Themen wie der Klassenfahrt setzt sich die Zeitung auch kritisch mit der Politik in Deutschland oder den USA auseinander. In dem Artikel „Demokratie in der Schule?“ wird die SMV als „bewegungsunfähiger Apparat“ bezeichnet, der am „Widerstand der Schulbehörde“ und am „wachsenden Desinteresse der Schüler, die die Machtlosigkeit der SMV erkannt hatten“, gescheitert sei.
Die Schülerschaft wollte sich aktiv an der Gestaltung des Schullebens beteiligen. Es wurden eigene Organisationen wie das Aktionszentrum Unabhängiger und Sozialistischer Schüler oder die Unabhängige Schülergemeinschaft gegründet, die den Anspruch hatten, die Schulgemeinschaft unabhängig zu vertreten. In dem Artikel des Tintenfisch wird ebenfalls eine “demokratische Gleichsetzung von Lehrer und Schüler” und ein “freies Presserecht” für alle Schülerzeitungen gefordert.. In den folgenden Jahren kam es immer wieder zu Konflikten zwischen den Schülergruppierungen und dem Kultusministerium. Zeitweise kam es sogar zu Schülerstreiks und Protestaktionen. So hängten Schüler und Schülerinnen des Gymnasiums Überlingen Anfang Februar 1986 Bilder von Rudi Dutschke oder Moa Tse Tung an die Wände, um ein Zeichen gegen die christlichen Kreuze der Schule zu setzen. Die Schülerschaft sahen darin eine Verletzung der Neutralität der Klassenräume. Durch Verhandlungen und Kompromisse nähern sich Kultusministerium und Schülervertretung wieder an. 1976 wird schließlich eine neue Verordnung erlassen, die der SMV mehr Freiräume und Einflussmöglichkeiten im Schulbetrieb einräumt.
Die SMV ist zu einem festen Bestandteil des Schulalltags geworden und begleitet die Kinder und Jugendlichen bis heute. Sie ermöglicht es den Schülerinnen und Schülern, Schule aktiv mitzugestalten und eigene Fähigkeiten wie Kompromissbereitschaft und Kommunikationsfähigkeit zu entwickeln. Pädagogen und Wissenschaftler wie der Sozialphilosoph Axel Honneth verweisen darauf, dass ein frühes Heranführen an demokratische Prozesse das Vertrauen in die Demokratie stärkt und dass Kinder, die schon früh aktiv mitbestimmen konnten, auch später ein größeres Interesse an Politik und aktiver Beteiligung haben..
Chiara Rees, wissenschaftliche Volontärin