Samstag, 01. Juni 2024

Kinderleben auf dem Land um 1900

Die Zeit um 1900 bringt verschiedene Lebensrealitäten hervor – in unserem Objekt des Monats aus dem April zeigen wir, wie Arbeiterkinder ihre Freizeit verbringen. Diesen Monat geht es um die Kinder auf dem Land, die dagegen scheinbar idyllisch leben: auf dem Esel reiten, barfuß laufen und Kutsche fahren.
Fotografie: Kind auf Esel mit Kutsche

Das Bild aus unserer Sammlung stammt aus dem Nachlass des 1905 geborenen Lehrers Albert Blum. Er wächst in Königseggwald, einem kleinen Dorf in der Nähe von Ravensburg, auf. Auf dem rechten Foto ist Blum der Junge auf dem Esel. Das Bild ist von ihm auf der Rückseite beschriftet: „Ich darf auf dem Esel vom Jakob reiten. Meine Schwester Josefine sitzt neben Jakob, der seine Pfeife raucht und Ziehharmonika spielt“. Doch so romantisch, wie es auf der Fotografie scheint, ist das Leben für Kinder längst nicht immer.

Von 1871 bis 1917 regiert Kaiser Wilhelm II das damalige Deutsche Kaiserreich. Das Leben für die Landbevölkerung ist nicht einfach, viele Bauern kommen an ihre finanziellen Grenzen. Reformen machen es schwer, eigenes Land zu kaufen, was auch die Ernten gefährdet.

Die fortschreitende Industrialisierung ist ein weiterer Grund, warum das Leben auf dem Land schwieriger wird. Nicht alle finden auf dem Dorf eine Anstellung und verdienen genug, um zu überleben. Deshalb zieht es viele Menschen in die Städte, wo sie sich einen Arbeitsplatz in der Industrie erhoffen. Wegen der großen Landflucht stagniert die Entwicklung in den ländlichen Gebieten, in den Städten hingegen gibt es große Fortschritte.

Die Kinder, die um 1900 auf dem Land leben, dürfen ihre Zeit nur wenig selbst gestalten. Das Leben bedeutet vor allem harte körperliche Arbeit. Kinder werden überall eingespannt: Sie übernehmen das Hüten von Tieren, helfen auf dem Feld, im Stall oder im Haus. Auch vor der Schule müssen die Jungen und Mädchen schon arbeiten.

Neben der Arbeit spielen Kinder aber auch – wenn auch anders, als heute. Heutzutage gibt es viele verschiedene Spielsachen im Kinderzimmer. Vor etwa 120 Jahren haben Kinder noch kaum gekauftes Spielzeug, denn die finanziellen Mittel dafür hatten Eltern meist nicht. Stattdessen werden die Kinder erfinderisch, um sich die wenige freie Zeit zu vertreiben. Steine oder Stöcke, Alltagsgegenstände, die umgedeutet werden, oder Selbstgemachtes wie Puppen aus Stoffresten reichen zum Spielen. Besonders die Kleinsten, die noch zu jung zum Arbeiten sind, haben Zeit zu spielen. Für sie genügen die einfachsten Mittel und Spiele wie Lehm, Murmeln oder auch Fangen spielen.

Wie auf den Fotos von Albert Blum zu erkennen ist, sind Kinder ein Teil der Erwachsenenwelt – sie verbringen Zeit mit den arbeitenden Erwachsenen und sind wie selbstverständlich immer dabei. Ein weiteres Bild von Blums Nachlass zeigt, wie ein Kind zusieht, als ein Schwein geschlachtet wird. Während es heute kaum vorstellbar ist, dass Kinder dabei zusehen, ist es damals Teil des Alltags. 

 

Susanne Appl (wissenschaftliche Volontärin)

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