Montag, 01. Juli 2024

Sommerfrische um 1900

Um 1900 ist die Gesellschaft im Deutschen Kaiserreich sehr gespalten. Die Lebensrealitäten von Bürgertum, Arbeiterschaft oder Adel unterscheiden sich stark, was besonders auch die Kinder betrifft.
Kinder um 1900
Kinder um 1900

Auf dem Foto aus unserer Sammlung sehen wir drei Kinder, die am Strand spielen. Sie stammen aus der bürgerlichen Gesellschaftsschicht und verbringen den Tag am Wasser – vermutlich in der so genannten „Sommerfrische“ mit ihrer Familie. Sie tragen die typische Kleidung der Zeit: Mädchen wie Jungen haben Kleidung an, die an die Uniform von Matrosen erinnert. Diese Matrosenanzüge sind ein Ausdruck der verbreiteten Begeisterung für Marine und Militär.

Die Gesellschaft ist aufgeteilt in die Unter- und Oberschicht. Die Unterschicht setzt sich zusammen aus der Arbeiterschaft, die im Zuge der Industrialisierung in die Städte zieht, Handwerkern, Dienstboten, Lohnarbeitern sowie Landarbeitern, die teils verarmt in den ländlichen Gebieten zurückbleiben. Zur wohlhabenden Oberschicht zählen zum Beispiel der Adel, ranghohe Soldaten, Bildungsbürger, Industrieunternehmer, Ingenieure, Professoren und Ärzte. Die Zeit um 1900 ist geprägt von Entwicklungen der Moderne, zum Beispiel in Technik und Wissenschaft. Gleichzeitig ist sie aber noch verhaftet in den bäuerlich-ländlichen strukturierten Traditionen eines Agrarstaates.

Die größten sozialen Unterschiede gibt es im Wohnen, der Bildung sowie in der Freizeit und Kultur. Auch das Leben der Kinder unterschiedet sich stark. Die Kinder der Oberschicht haben es besser als die der Unterschicht: Sie haben mehr Freizeit und können mit ihren Eltern in die Sommerfrische verreisen und neue und unbekannte Orte erkunden. Der ländliche Raum wird zum idyllischen und romantisch überhöhten Urlaubs- und Erholungsort. Ziele sind wie auf unserem Foto besonders der Strand und das Meer, aber auch die Berge.

Die Arbeiterschicht hat im Gegensatz zur gehobenen und mittleren Bürgerschicht nur in den wenigsten Fällen die Gelegenheit, so zu verreisen. Vor 1900 hat weniger als einem Prozent der Arbeiterschaft einen Anspruch auf Urlaub. Somit können auch die Kinder dieser Familien keinen Urlaub erleben.

Diese Art des Tourismus entwickelt sich etwa parallel zur Etablierung der Eisenbahn als Transportmittel. Besonders in der schulfreien Zeit fliehen die bürgerlichen Schichten aus den staubigen und überfüllten Städten, um mit den Kindern in die Sommerfrische zu reisen. Dadurch entwickelt sie sich zum Inbegriff der Familienzeit. Das Ziel des Urlaubs ist die Erholung – doch die Bürgerinnen und Bürger, die am meisten durch schwere Arbeit und schlechte Arbeitsbedingungen belastet sind, können sich keine Auszeit leisten. Der Anspruch auf das Reisen zeigt eine klare Trennlinie der Bevölkerung auf: Die zwischen der hart körperlich arbeitenden Mehrheit gegenüber der wohlhabenden Oberschicht.