Wer schreiben darf, ist klar im Vorteil

Schreiben? Nur was für Gelehrte
Wer schreiben lernen darf, das ist lange Zeit eine Frage des gesellschaftlichen Standes. Im europäischen Mittelalter ist die Schriftlichkeit vornehmlich in den Klöstern zuhause. Sie zu erlernen ist das Privileg einer kleinen Schicht an Gelehrten und Geistlichen. Der Bedarf an Schriftstücken ist auf den ritterlichen Burgen eher gering, die Nutzung von Schrift stark beschränkt auf religiöse Zwecke.
Nur wenige können vor tausend Jahren schreiben. Selbst beim Abschreiben religiöser Texte in den Klöstern verstehen nicht alle, was sie schreiben – zumal in Latein geschrieben wurde. Unbemerktes Verrutschen in den Zeilen und unsinnige Wörter zeigen, dass die Schreiber die Texte nur kopieren. Deshalb heißen sie Kopisten.
Erst die Stadtgründungen und die zunehmende Arbeitsteilung im 13. Jahrhundert wecken auch bei Handwerkern und Händlern den Bedarf, ihre Sprösslinge das Schreiben erlernen zu lassen. Bis auch Bauern, Bedienstete oder Tagelöhner das in ihrem Alltag nicht notwendige Schreiben lernen, ist es noch ein weiter Weg.
Der Wille ist gut, die Umsetzung noch dürftig
Der Geist von Reformation (16. Jh.) und Aufklärung (18. Jh.) bringt die Volksbildung mit sich. Jeder soll die Bibel selbst lesen können und sich seines eigenen Verstandes bedienen, soll im Sinne der Aufklärung mündig werden. So wird ab dem 16. Jahrhundert auch das „einfache Volk“ im Schreiben unterrichtet.
Schriftlichkeit und Bildung gelten den damaligen Landesherren als Voraussetzung für den Fortschritt. So wird die Schulpflicht in Deutschland nicht vom Volk in demokratischer Absicht errungen, sondern von den Landesherren eingeführt.
Doch erst im Deutschen Kaiserreich ab 1871 bringen moderne Lehrmethoden und die endlich durchgesetzte Schulpflicht die Alphabetisierung in alle Schichten der Gesellschaft. Zuvor müssen die Landesherren immer wieder zur Einhaltung der Schulpflicht aufrufen und die Armut auf dem Land soweit eindämmen, dass die Eltern auf die Arbeitskraft ihrer Kinder verzichten können. Erst jetzt ersetzt die persönliche Unterschrift weitestgehend die drei „XXXe“ des Analphabeten.