Dienstag, 01. Oktober 2019

Schulhefte einer Waldorfschülerin

Die Zeit der Weimarer Republik ist prägend für Deutschland – auch in der Schulgeschichte. Neben der Gründung der Grundschule (Objekt des Monats September) kommt es im Zuge reformpädagogischer Ansätze zur Einführung weiterer Schulformen, so genannter Versuchsschulen. Dazu zählt auch die Waldorfschule. Sie feiert dieses Jahr ihr hundertjähriges Bestehen.
Verschiedene selbst gestaltete Schulhefte einer Waldorfschülerin
Gelten als Ersatz für Schulbücher: die selbst gestalteten Epochenhefte einer Waldorfschülerin

Stellvertretend für die Waldorfschule stellen wir diese Schulhefte aus den 1950er Jahren aus. Christine Grether, die von 1953 bis 1960 die „Freie Waldorfschule Ulm Römerstraße“ besuchte, schenkte sie dem Schulmuseum Friedrichshafen.

Damals wie heute beträgt die Dauer des Schulbesuches bis zu zwölf Jahren. Die Kinder können jedoch auch mit einem Hauptschul- bzw. Realschulabschluss die Schule beenden. Jedes Klassenzimmer der verschiedenen Klassenstufen hat einen farblich eigenen Wandanstrich, der den Fortschritt der Schüler aufzeigen soll. Weiteres Merkmal an der Waldorfschule ist der Epochenunterricht, in dem sich die Schüler und Schülerinnen in den ersten beiden Stunden über einen Zeitraum von drei Wochen fächerübergreifend mit einem bestimmten Thema befassen und ihre Ergebnisse in so genannten Epochenheften festhalten. Weiteres Kennzeichen der Waldorfpädagogik ist die Aufteilung in „Jahrsiebte“. Laut Rudolf Steiner, dem Begründer der Waldorfpädagogik, lernen Kinder in ihren ersten sieben Lebensjahren durch das Beobachten und Nachahmen. In den Jahren sieben bis vierzehn (Pubertät) brauchen die Kinder und Jugendliche eine Autorität, die ihnen bei ihrer Entfaltung zur Seite steht. Dementsprechend unterrichten die KlassenlehrerInnen: Die Kinder sollen selbstständig und kreativ arbeiten und werden nicht als „Gefäß“ angesehen, das mit Wissen zu füllen ist. Die Lehrkräfte begleiten ihre Schüler bis zur 8. Klasse.

Doch wie kommt es 1919 überhaupt zur Gründung der ersten Waldorfschule? Der Direktor der Waldorf-Astoria-Zigaretten-Fabrik in Stuttgart, Emil Molt, möchte den Kindern der Fabrikarbeiter eine gute Schulbildung gewähren – trotz ihrer sozialen Situation. Den Ausschlag gibt ein Vortrag des Anthroposophen Rudolf Steiner vor Arbeitern jener Fabrik unter dem Titel „Freiheit im Geistesleben, Gleichheit im Rechtsleben und Brüderlichkeit im Wirtschaftsleben“. Am 7. September 1919 wird schließlich die erste Waldorfschule Deutschlands in einer Villa auf der Uhlandshöhe in Stuttgart eröffnet, gemeinsam von Emil Molt und Rudolf Steiner als Schulleiter. Im Zuge dieser Eröffnung wird auch das erste Lehrerseminar für Waldorfpädagogik gegründet. Bereits zwei Jahre darauf, 1921, entsteht die erste Waldorfschule außerhalb des Gebietes der Weimarer Republik im schweizerischen Dornach. Heute gibt es über 1100 Waldorfschulen weltweit, allein 245 in Deutschland.