Samstag, 01. Juni 2019

Postkarte von 1892

Im Rahmen unserer Sonderausstellung „#schreiben – Tinte oder Tablet“ sind wir auf so manch kurioses Exponat gestoßen. So auch beim Objekt des Monats Juni, bei dem es sich um einen wichtigen Bestandteil der Schreibkultur des 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts handelt: die Postkarte. Dieses Exponat steht auf außergewöhnliche Weise für die Faszination Schrift/Schreiben, für die Verwendung und Vermischung von mehreren Schriftarten und sogar für Geheimschriften.
Alte Postkarte aus 1892
Geheimschrift oder Spaß? Erst bei genauerer Betrachtung lässt sich der Text entziffern und flüssig lesen.

Eingeführt 1869, ist die Postkarte sie so etwas wie die altmodische SMS. Und genau wie heute machen sich die Verfasser Gedanken über das Thema Datenschutz, schließlich kann jeder den Inhalt lesen. Vielleicht hat der Schreiber deshalb diese etwas kurios anmutende „Geheimschrift“ gewählt?! Auf dem ersten Blick erscheint diese Postkarte von 1892 für uns unlesbar – fast möchte man meinen, die Karte sei in griechischer Schrift verfasst.  Aus dem Mathematikunterricht erkennen wir einzelne bekannte Buchstaben, so etwa das α (Alpha), β (Betha), γ (Gamma), ε (Epsilon), λ (Lambda) und Π (Pi). Bei genauerer Betrachtung aber sieht es mit der Lesbarkeit schon nicht mehr so schwierig aus. Der Schreiber, ein gewisser „Gorgour“ aus Plüderhausen (Nähe Schorndorf) vermischt hier zwei Alphabete: Er bedient sich der griechischen und lateinischen Schrift. Das χ steht für „ch“ und der ´ über dem α und ε für ein „h“, welches vor dem Buchstaben a oder e gesetzt wird.

Beachtet man dies, so lautet die Nachricht wie folgt:

An Herrn  Leopold Bögner in Bopfingen, Plüderhausen, den 30 18.92.

Lieber Boegner!

Bitte gebe mit oumgehend Nachricht, ob Dou kommenden Sonntag nicht frei hast oder frei machen kannst alsdann kaeme ich nach dort, da ich Ferschiedenes mit Dir zou sprechen hette; Nachmittags gehen wir dann nach Nördlingen oder könnten wir auch sonst irgendwohin gehen. Die Dekke zoum Iournal ist angekommen ound werde ich Dir dieselbe mitbringen, meine Zeitoungen habe ich auch erhalten ound sind schon eingebounden. Bitte deile es auch Schanzmann mit. Am 1 Oktober gehe ich aufs Oktoberfest nach München, habt Ihr keine Loust mitzougehen?

Einstweilen gusst Euch

Gorgour

Unser mysteriöser „Gourgour“ möchte sich also mit seinem Bekannten Leopold Bögner aus Bopfingen (Baden-Württemberg) zu einem Gespräch verabreden und mit diesem dann den Tag in Nördlingen oder an einer anderen Stelle verbringen. Er berichtet, dass er für sein Journal den passenden Deckel gefunden und seine erhaltenen Zeitungen eingebunden hat und all dies zu dem geplanten Treffen mitbringen möchte. Weiterhin möchte er den Leser auffordern, zum Oktoberfest zu kommen. Ob es sich hier um einen „echten“ Griechen oder einen Deutschen handelt, der sich einer Geheimschrift bedient und unter dem Pseudonym „Gourgour“ diese Karte schreibt, lässt sich nicht klären.

Pascal Koths (wissenschaftl. Volontär)